Aus dem Alltag von … Erwin Groß

Ein Gespräch über das Potential von Mass Personalization

Bereits während seines Studiums war Erwin Groß am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart tätig und promovierte dort zum Thema Assistenzsysteme. Heute koordiniert und realisiert der Gruppenleiter u.a. verschiedene Forschungsprojekte im Leistungszentrum Mass Personalization. Welches Potential hinter dem Zukunftsthema steckt und wie Unternehmen darauf reagieren können, erklärt Erwin Groß im Interview mit S-TEC. Dabei gibt er auch einen Einblick in seinen Arbeitsalltag als Forschender.

Seit diesem Jahr leitest Du gemeinsam mit Sabine Krieg vom Fraunhofer IGB das S-TEC Zentrum Mass Personalization. Was begeistert Dich an diesem Thema?

Normalerweise sind personalisierte Produkte speziell an Personen und deren Wünsche angepasst und dadurch meist sehr teuer. Das Ziel von Mass Personalization ist es, eine Produktion personalisierter Produkte zu moderaten Kosten zu realisieren. Ich finde es spannend, diese Herausforderung anzugehen und dafür verschiedene Kompetenzen zusammenzubringen. Durch die Vernetzung von Universitäts- und Fraunhofer-Instituten entsteht am Standort Stuttgart eine enorme Kompetenz für personalisierte Produkte.

Wie würdest Du Mass Personalization definieren? In welchen Bereichen spielt das Verfahren eine tragende Rolle?

Unter Mass Personalization versteht man generell die Fertigung von personalisierten Produkten zu den Kosten von Produkten einer Massenfertigung. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Nutzerintegration von Anfang an. Damit umfasst Mass Personalization als Systemansatz wesentliche Ziele der Industrie 4.0 Idee. Zum Einsatz kommt das Thema Mass Personalization z.B. in Bereichen wie der Gesundheit oder Medizin. Beispielsweise bieten Orthesen, Prothesen oder auch Medikamente ein erhebliches Potential zur Personalisierung. Der Vorteil von personalisierten Produkten liegt darin, dass diese generell passfähiger sind und damit neben höherem Kundenkomfort zu geringeren Folgekosten führen. Dadurch sind personalisierte Produkte wie z.B. Prothesen in der Regel auch langlebiger und Pharmaprodukte auf den Bedarf der Einzelpatienten ausgerichtet. Neben der Themenlinie Gesundheit haben wir am S-TEC Zentrum aber auch die Themenlinie Mobilität und Lebensräume sowie die Themenlinie Produkte/Produktionssysteme definiert.

Für welche Unternehmen ist Mass Personalization besonders interessant?

Um das herauszufinden, führen wir im Leistungszentrum aktuell eine Praxisstudie durch, in der wir Unternehmen zu ihren Produkten und Personalisierungsgrad befragen. Bisher konnten wir feststellen, dass Personalisierung vor allem auch für Start-ups und kleinere Unternehmen interessant ist. Durch die Personalisierung können diese Marktanteile gewinnen bzw. erschließen und haben somit eine Chance, gegenüber großen Playern zu bestehen. Größere Unternehmen nutzen zwar gerne das Label der Personalisierung, wenn man aber genauer hinschaut, handelt es sich meist um Massenprodukte mit Individualisierungsoptionen. Durch die Personalisierung würden sie ihre guten Margen gefährden und müssten folglich die Produkte teurer anbieten. Dadurch besteht auch die Gefahr, dass die Unternehmen ihre eigenen absatzstarken Produkte vom Markt verdrängen bzw. sich selbst kannibalisieren. Großunternehmen werden daher das Thema Mass Personalization in anderer Weise angehen und beispielsweise neue Technologien für die Ergänzung oder Änderung ihres Produktportfolios implementieren.

Welche Leistungen bietet Ihr im S-TEC Zentrum Mass Personalization an?

Wir unterstützen Unternehmen dabei, Produkte zu personalisieren und durch den Einsatz neuer Technologien kostengünstig zu produzieren. Beispielsweise erforschen wir, wie Unternehmen ihre Kund*innen besser miteinbeziehen können und wie digitale Prozesse dafür ausgestaltet werden müssen. Schließlich bedeutet Personalisierung, dass potentielle Kund*innen ihre persönlichen Daten durch eine Schnittstelle einspielen können. Unter der ständigen Berücksichtigung der Kosten müssen alle Prozesse wie z.B. das Rüsten von Maschinen oder Prüfprozesse geplant und abgestimmt werden. Wir unterstützen Unternehmen also auf dem gesamten Weg der Transformation, spannen ein Netzwerk auf und stellen die erforderlichen Kompetenzen zu Verfügung.

Was gefällt Dir an Deiner Arbeit besonders?

Die Zusammenarbeit mit Menschen, das Zusammenbringen verschiedener Kompetenzen sowie spannende Diskussionen aber auch das Arbeiten an neuen Themen – das ist das, was mich täglich antreibt. Ich finde es außerdem spannend, an aktuellen Trends, Themen und Entwicklungen zu arbeiten, die in der Industrie erst in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen oder die bisher noch gar nicht in den Unternehmen angekommen sind.

© Fraunhofer IPA; Foto: Rainer Bez

Ich finde es spannend, an aktuellen Trends, Themen und Entwicklungen zu arbeiten, die in der Industrie erst in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen.

Dr.-Ing. Erwin Groß


Wo liegt aktuell Dein Arbeitsschwerpunkt?

Durch meine Position als einer der beiden Leitenden des Leistungszentrums bin ich vor allem mit der Koordination und der strategischen Ausrichtung des Zentrums beschäftigt. Gemeinsam mit meiner Co-Leiterin Sabine Krieg überlegen wir, wie man die verschiedenen Themen und Kompetenzen auf Seiten der Universität und der Fraunhofer-Gesellschaft zusammenbringen kann. Sehr intensiv beschäftige ich mich zudem mit meiner Forschergruppe mit dem Thema neue Geschäftsmodelle und wertschöpfungsbasierte Plattformen für die Produktion. Dabei gehen wir der Frage nach, wie zukünftige Geschäftsmodelle u.a. für personalisierte Produkte aussehen könnten oder wie Plattformen für die Produktion die Personalisierung unterstützen und vorantreiben können. Ein spannender Ansatz hierbei ist die Kooperation mit Start-ups und wie sich deren Erfahrung mit personalisierten Produkten gewinnbringend in etablierte Unternehmen einsetzen lässt und so neue Zusammenarbeitsformen unterstützt werden.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Dir aus?

In der Regel checke ich morgens auf dem Weg zum Institut die Nachrichten, um auf dem Laufenden zu sein, was in der Welt alles passiert ist. Anschließend mache ich mich an meine Mails und gehe zur Abstimmung mit Kolleg*innen in Regeltermine oder Meetings. Neben koordinativen Themen bin ich auch inhaltlich in die verschiedenen Projekte meiner Gruppe direkt involviert, nehme an Workshops, Kundenterminen, Diskussionen zum Projekt teil oder führe Analysen und Auswertungen durch. Mein Ziel ist es dabei immer, die aktuellen Themen aktiv voranzubringen. Letztlich geht es als Wissenschaftler auch darum, die Ergebnisse der eigenen Arbeit entsprechend zu kommunizieren und als Publikation zu veröffentlichen.

Was hat sich durch die Corona-Pandemie verändert?

Vor der Pandemie war generell eine stärkere Interaktion, meist auch persönlicher, möglich. Es gab auch mehr Transferwege wie z.B. bei der Autofahrt oder beim Raumwechsel zum nächsten Termin. Während diesen kurzen Zeitslots konnte man die eigenen Gedanken sortieren oder etwas mit Kolleg*innen abstimmen und neue Ideen und Vision diskutieren. Durch die eng getakteten Termine in MS-Teams arbeiten wir zwar effektiver, ein kurzes Abschalten zwischen den Meetings ist jedoch fast nicht mehr möglich, da Termine meist en bloc stattfinden. Daher bin ich froh, wenn wieder mehr Vor-Ort-Termine mit Kund*innen möglich sind und man wieder etwas mehr Luft für den persönlichen Austausch hat. Dabei freue ich mich besonders auf die Seitengespräche, die so fast nicht mehr stattfinden.

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