Aus dem Alltag von … Liza Wohlfart

Ein Gespräch über Minimalismus und frugale Innovationen

Liza Wohlfart hat in ihrer Forschungstätigkeit am Fraunhofer IAO inspirierende Innovator*innen getroffen und spannende Projekte in verschiedenen Ländern begleitet. Gemeinsam mit Dr. Uwe Schleinkofer leitet sie das S-TEC Zentrum Frugale Produkte und Produktionssysteme (ZFP) und gibt im Interview Einblicke in ihren abwechslungsreichen Arbeitsalltag in der Wissenschaft.

Du bist momentan am Fraunhofer IAO im Bereich »Advanced Systems Engineering« tätig. Wie bist du an das Institut gekommen und woran arbeitest du gerade?

Als Magisterstudium habe ich eine Kombination aus Volkswirtschaftslehre, Anglistik und Romanistik gewählt, mit dem Ziel in einem internationalen Kontext mit dem Schwerpunkt Wirtschaftswissenschaften zu arbeiten. Schon damals gab es Berührungspunkte zu Themen, mit denen ich mich heute beschäftige. Zunächst habe ich an der Universität Stuttgart und dem IAO als HiWi angefangen und bin später als wissenschaftliche Mitarbeiterin in die Abteilung »Forschungs- und Entwicklungsmanagement« eingestiegen. Dort haben wir Unternehmen dabei unterstützt, innovativ zu sein, wichtige Trends zu erkennen und Kreativität zu fördern. Mir hat hier besonders der internationale Arbeitskontext gefallen. Rund die Hälfte der Projekte waren schon damals im Ausland. Ob Russland, Australien, Malaysia oder verschiedene Länder in Europa – ich habe viel gesehen. Die letzten Jahre habe ich mich vor allem mit dem Thema frugale Innovation beschäftigt. Dafür gibt es das vom Land geförderte ZFP. Dort führen wir verschiedene Forschungsvorhaben und auch Beratungsprojekte mit Kunden aus der Industrie durch. Unter anderem koordiniere ich zurzeit ein großes EU-Projekt, das einen Großteil meiner Zeit einnimmt. Nebenher beschäftige ich mich mit begleitenden Themen im Innovationsbereich, wie der Shareconomy.

Was zeichnet frugale Innovationen (FI) aus?

Eine frugale Innovation zielt darauf ab, ein Produkt zu entwickeln, das im Funktionsumfang möglichst einfach und reduziert ist bei gleichzeitig hoher Qualität und guter Nachhaltigkeitsbilanz. Diesen Spagat gilt es zu bewältigen. Das Prinzip lässt sich im Vergleich zum typischen Innovationsprozess von Unternehmen am besten veranschaulichen. Hierbei prüfen Firmen, welche neuen Funktionen ihren Produkten hinzugefügt werden können oder welches neue Produkt mehr bietet als die vorhandenen Alternativen. Frugale Innovationen hingegen zielen auf schlanke, einfache und kostengünstige Lösungen ab. Entscheidend hierfür ist die Fragestellung: „Was lassen wir weg? Und wie gelingt uns bei aller Einfachheit eine Lösung, die so charmant ist, dass sie die Kund*innen begeistert?“. Es geht also um das Reduzieren auf Mindestfunktionen, ohne den Wunsch der Kund*innen nach besonderen Highlights aus den Augen zu verlieren.

Was begeistert dich an diesem Thema?

Mich begeistert vor allem das Prinzip der Einfachheit, des Minimalismus, den ich weiterverfolgen wollte. In meinem Studium habe ich mich unter anderem mit Minimalismus in Kunst, Literatur und Architektur beschäftigt. Hier gibt es Parallelen zum minimalistischen Ansatz in der Produktentwicklung. Die gemeinsame Idee dahinter: Es muss nicht alles derartig komplex sein. Auch eine einfache, reduzierte Lösung kann sehr charmant und eine spannende Herausforderung sein. Toll finde ich auch den Nachhaltigkeitsaspekt. Viele frugale Innovationen haben einen sozialen oder ökologischen Benefit, beispielsweise indem Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern Zugang zu erschwinglichen, hochwertigen Haushaltsgeräten oder Transportmitteln erhalten. Derartige Projekte unterstützen und bekannt machen zu können, ist großartig. Im ZFP stehen wir mit inspirierenden, frugalen Innovator*innen in Kontakt. Oft sind dies Bürger*innen, die mit einer guten Idee gestartet sind, vielleicht inspiriert durch eine Reise oder einen persönlichen Kontakt, und daraus ein richtig cooles Produkt gemacht haben. Das kann eine Brille für arme Kinder in ländlichen Gegenden von Entwicklungsländern sein oder auch ein Smartphone, das so simpel aufgebaut ist, dass Senioren hier in Deutschland gut damit zurechtkommen.

Welche Potenziale haben frugale Innovationen und für welche Unternehmen ist das Thema interessant?

Die Branchen sind breit gestreut. Es gibt unter anderem einige interessante Beispiele aus den Bereichen Automobil und Landwirtschaft. Claas, beispielsweise, stellt für Märkte wie die USA riesige Mähdrescher her und produziert zugleich für Märkte wie Indien ein kleines und günstiges Produkt, den Crop Tiger. Im Konsumgüterbereich sind Haushaltsgeräte für Schwellen- und Entwicklungsländer sehr interessant, wie das Kochgerät Modern Chulha von Bosch. Auch hier bei uns lassen sich Anwendungsbeispiele finden, u.a. im Bau und im Maschinen- und Anlagenbereich. So gibt es beispielsweise Maschinen, die keine 100 Funktionen aufweisen, sondern nur die essentiellen. Sie sind kleiner, robuster und auch günstiger als alternative Angebote. Man muss die Bedienung weder lange erklären, noch die Maschinen ständig warten. Eine frugale Innovation ist also eine bestimmte Art der Innovation, die auf kostensensitive Kund*innen abzielt, verbunden mit dem Prinzip der Einfachheit. Es geht nicht nur ums Geld sparen.

Mich begeistert vor allem das Prinzip der Einfachheit, des Minimalismus.

M.A. Liza Wohlfart


Weiß die Industrie in diesen Bereichen schon, was frugale Innovationen sind?

Im wissenschaftlichen Bereich ist der Begriff bekannt. Wir erhalten ständig Anfragen von Studierenden, die dazu eine Arbeit schreiben, oder werden eingeladen, Vorlesungen zu halten. In der Industrie ist das Thema noch nicht so geläufig, doch einige Unternehmen setzen frugale Innovation schon um, ohne sich dessen bewusst zu sein. Manche missverstehen den Begriff und betrachten lediglich den Kostenaspekt – worum es jedoch nicht alleine geht. Darum ist in der Industrie noch Aufklärungsarbeit nötig. In der Wissenschaft hat das Thema hingegen in den letzten Jahren längst einen Boom erfahren. Deshalb bin ich mir sicher, dass das Thema auch in der Industrie langfristig bekannter wird und gerade auch im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion an Relevanz gewinnt.

Was bietet das Zentrum für Frugale Produkte und Produktionssysteme (ZFP) Unternehmen?

Wir können Unternehmen über den ganzen Prozess hinweg unterstützen, beginnend bei strategischen Fragestellungen wie der, ob es für ein Unternehmen überhaupt sinnvoll ist, sich mit frugalen Innovation zu beschäftigen. Üblicherweise kommen unsere Kund*innen mit einer existierenden Idee zu uns und einem ersten Verständnis, wo ihr Zielmarkt liegt. Manche haben bereits ein erstes frugales Produktkonzept, brauchen jedoch Hilfe bei der gezielten Auswahl von Funktionen, auch weil sie häufig noch zu sehr am Bestandsprodukt hängen. Wir helfen ihnen, mit Innovationsmethoden ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Dabei führen wir manchmal auch Kund*innenbefragungen oder Interviews mit Expert*innen durch, damit Unternehmen den Markt und technische Möglichkeiten besser einschätzen können. Auf Basis der Erkenntnisse helfen wir Unternehmen, die Konzepte weiterzuentwickeln, manchmal auch bis hin zur Umsetzung in erste Prototypen, die wir wieder am Markt validieren.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei dir aus?

Im Moment sind wir in unserem Team meistens im Homeoffice, manchmal auch nach Bedarf am Institut. Vor der Covid-Pandemie waren wir vielleicht einen Tag pro Woche zuhause, ansonsten am Institut oder auch auf Dienstreise. Meine Arbeitstage sind aktuell stark mit Besprechungen durchgetaktet, aber ich versuche zwischendurch auch Zeiten für inhaltliche Arbeit zu blocken, sogenannte Stillarbeit. Wir arbeiten parallel an verschiedenen Projekten, was die Herausforderung mit sich bringt, den Überblick zu behalten und sich nicht zu verzetteln. Die Stillarbeit nutze ich zum Recherchieren, für kreative Arbeit und zum Auswerten von Ergebnissen, zum Beispiel aus Kund*innenbefragungen oder Workshops mit Kolleg*innen und Unternehmen. Wir achten in unseren Projekten darauf, im Team unterwegs zu sein, mindestens zu zweit.

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